Der Kampf um Tundara
Wissen um jeden Preis
In Tundara, einem Land, das von endlosen Steppen und Kälte geprägt ist, kämpfen Hoffnung und Verzweiflung um die Vorherrschaft. Jahr für Jahr zieht der erbarmungslose Winter herauf, während sich Clans und Gemeinschaften ins Landesinnere zurückziehen, um der Kälte zu trotzen. Doch in der Siedlung Dravakor, einem Treffpunkt von Menschen, Flüchtlingen und fremden Orden, brodelt es. Werwolf-Flüchtlinge aus dem Imperium suchen Sicherheit und eine neue Heimat, während sich die einheimische Bevölkerung an den Veränderungen reibt.
Das Haus des Heils, ein Symbol des Schutzes und der Genesung, wird zum Leuchtturm des Kampfes – ein Ort der Hoffnung, der jedoch auch Angriffen und Intrigen ausgesetzt ist. Spannungen wachsen, als ein unerklärlicher Brand einen Tempel zerstört und ein düsteres Amulett ans Licht kommt. Die Zeichen deuten auf eine Macht hin, die jenseits der bekannten Feinde liegt, eine dunkle Präsenz, die ihre Tentakel nach Tundara ausstreckt und das fragile Gleichgewicht bedroht. Inmitten der eisigen Nächte und der Schatten der Intrigen beginnt ein langjähriger Kampf um das Überleben, die Wahrheit und die Kontrolle über das Schicksal von Tundara, Dravakor und seinen Bewohnern.
524 AA / 1424 Imperiale Zeitrechnung: Sechster Monat
Die nebelverhangenen Felder von Keldran – Eine neue Präsenz
In den frühen Morgenstunden, wenn die kalten Nebel über die Felder von Keldran kriechen und die Erde wie ein stilles, graues Meer wirken lassen, werden die Geräusche der Arbeit laut. Hier treffen die drei großen Handelsstraßen von Tundara aufeinander – Wege aus dem Westen, Osten und Süden, die sonst nur gelegentlich von vereinzelten Händlern und Reisenden passiert werden. Doch in letzter Zeit hat sich etwas verändert. In die dichte Stille mischen sich das Kreischen von Sägen, das rhythmische Schlagen von Hämmern und das Kratzen von Schaufeln, die Erde umgraben.
Eine Gruppe von Fremden hat sich niedergelassen und baut auf einem alten, verlassenen Gehöft eine befestigte Zuflucht auf – ein Bollwerk des Schutzes, das Haus des Heils. Nach Absprache mit den einheimischen Rudeln der Werwölfe wurde das Land gewählt, eine abgeschiedene, jedoch gut zugängliche Lage, die Reisenden Schutz bietet. Jeder, der dieses Haus betritt, soll Heilung und Zuflucht finden; doch wer es bedroht, soll erbitterten Widerstand erfahren.
Über dem Eingang prangen die Symbole der Gilde der Goldenen Straße und das Zeichen Mya, das Symbol des Regnum Solis für Heilung und Fürsorge. Diese Zeichen sind bewusst gut sichtbar angebracht – eine klare Botschaft an die Bewohner von Tundara und die Ankömmlinge aus dem Süden: Hier vereinen sich Schutz und heilende Hände.
Eine Handvoll Fremder mit einer großen Mission
Im Inneren des Hauses organisiert Zaphryn, der ruhige, zielstrebige Leiter des Hauses des Heils, den gesamten Aufbau. Zaphryn ist eine imposante Gestalt, und seine Augen zeugen von jahrelanger Erfahrung in der Heilkunst und Verwaltung. Seine Verantwortung geht über den bloßen Aufbau hinaus; ihm stehen Mittel und Materialien zur Verfügung, um Fachkräfte und Handwerker auch aus entfernteren Gebieten zu rekrutieren, um das Haus schnell und sicher zu einem Ort der Zuflucht zu machen. An seiner Seite ist Lumiel, eine stille Begleiterin, die ihm in den Verhandlungen und bei der Organisation des Bauvorhabens beisteht.
Die Gruppe wird von weiteren Fremden in rot-goldener Kleidung unterstützt, die aus dem Süden stammen und im Haus des Heils ihre eigenen Rollen gefunden haben:
Ravif, ein Medicus, der mit Zaphryn aus der Ariochia-Expedition zurückgekehrt ist. Ravif bringt fundiertes Wissen in der mundanen Heilkunde mit sich und bildet auch die örtliche Bevölkerung aus, sodass sie sich selbst und anderen in Notfällen helfen können – auch bei Verletzungen, die durch die gefährlichen Silberwaffen verursacht werden könnten. Ravif ist ein bodenständiger, behutsamer Mann mit einem Talent für das Lehren und geduldigen Erklären.
Amara, die Priesterin des Hauses, ist das Herz der Gemeinschaft. Sie besitzt eine ruhige Autorität, die die Bewohner stärkt und beschützt. Wenn Amara in Meditation versinkt, scheint eine warme, schützende Aura das Haus zu durchdringen, die selbst die unsichtbaren Wunden der Anwesenden zu lindern scheint. Ihre bloße Anwesenheit stärkt die Gemeinschaft und erfüllt sie mit einem Gefühl der Zuversicht.
Amir ist ein erfahrener Soldat, der mit Zaphryn und Ravif zurückgekehrt ist, während die Akay die Abgesandten des Hauses Anouar nach Torgat-Suul begleiten. Amir kommandiert vorübergehend die Wachen des Hauses und unterstütz die Sonnenwölfe, Einheimische die helfen wollen einen sicheren Hafen für die Flüchtenden aus dem Imperium zu schaffen. Seine Hauptaufgabe ist es, die Sicherheit des Hauses des Heils zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass der Aufbau ungestört voranschreiten kann.
Zusätzlich befinden sich noch eine weitere Priesterin, ein Nachrichtenoffizier und ein Kriegsmagier auf dem Gelände des Hauses des Heils. Sie werden bald weiterreisen, um zum Leuchtfeuerpakt beizutragen, einem Abkommen mit den Scheibenkreuzrittern. Doch vorerst leisten sie Hilfe beim Aufbau und beraten Zaphryn in strategischen Fragen der Verteidigung.
Eine Struktur für eine bleibende Gemeinschaft
Das Haus des Heils ist für eine dauerhafte Besatzung ausgelegt und soll bis zu 29 Personen inklusive Gäste und Patienten beherbergen können. Die Struktur der Belegschaft ist sorgfältig durchdacht, um das Haus auch in Krisenzeiten autark betreiben zu können:
Verwaltungspersonal: Ein Verwalter und zwei Hilfskräfte kümmern sich um die Organisation und den täglichen Ablauf. Sie stellen sicher, dass Vorräte und Hilfsgüter verwaltet werden und dass das Haus reibungslos funktioniert.
Medizinisches Personal: Zwei Ärzte und vier Krankenpfleger stehen bereit, um Verletzte zu versorgen und die Gesundheit der Bewohner zu sichern. Einfache Schulungen in Erster Hilfe sind Pflicht, um im Ernstfall schnell reagieren zu können.
Sicherheitspersonal: 16 erfahrene Wachleute sichern das Gelände und sind in Schichten eingeteilt, um auch nachts für Schutz zu sorgen. Die Wachen sind diszipliniert und kampferprobt und werden von Amir geleitet.
Küchenpersonal: Zwei Köche bereiten die Mahlzeiten für die Bewohner und Patienten zu, oft aus den Erträgen des eigenen Gartens.
Allgemeine Arbeitskräfte: Zwei weitere Arbeitskräfte kümmern sich um die Instandhaltung des Hauses und übernehmen handwerkliche Arbeiten. Ihre Aufgabe ist es, das Haus in gutem Zustand zu halten und notwendige Reparaturen durchzuführen.
Das Netz der Versorgung – Der Weg nach Süden
Die kürzere Distanz: Der Weg durch Ardag ist der schnellste und sicherste Transportweg durch Tundara. Die Clans um das Haus des Heils haben diesem Weg zugestimmt, doch die Straßen sind nicht ungefährlich – nicht alle Werwölfe sehen die fremden Transportmittel gern, und der direkte Weg erleichtert es, Überfälle abzuwehren.
Der südliche Seeweg: Der Transport führt über einen großen See, was die Versorgung per Boot ermöglicht. Dies macht den Transport nicht nur einfacher, sondern schützt ihn auch vor den Blicken der Jäger. Die Ankunft der Boote kann leicht überwacht werden, sodass die Gilde weiß, wann und wie viele Jäger ankommen und wo sie genau erwartet werden können.
Der Mauergarten – Eine Oase der Nahrung
Um die Selbstversorgung des Hauses sicherzustellen, wurden zwei Gärten angelegt – der Mauergarten und der Kräutergarten. Der Mauergarten ist ein 400 m² großes Areal, das verschiedene Gemüsesorten beherbergt. Für das kalte Klima von Tundara wurden speziell frosttolerante Pflanzen ausgewählt: Kohl, Rüben, Karotten und Zwiebeln. Die Schätzung der Erträge zeigt, dass das Haus des Heils durch diesen Anbau in der Lage sein wird, pro Jahr bis zu 3.200 kg Gemüse zu produzieren – eine unverzichtbare Nahrungsquelle in den kalten Monaten.
Der angrenzende Kräutergarten erstreckt sich über 300 m² und beherbergt robuste Heilpflanzen wie Schafgarbe, Salbei, Petersilie und Kamille. Diese Kräuter sind für das kalte Klima geeignet und werden für medizinische Zwecke verwendet. Die Ringelblume und der Sonnenhut bringen nicht nur Farbe in die graue Landschaft, sondern ihre heilenden Eigenschaften sind ein wertvolles Gut für die Gesundheit der Bewohner.
Ein Leuchtfeuer in der Kälte – Ein Schutz für die Schwachen
Das Haus des Heils thront auf einer sanften Anhöhe, nahe der Weggabelungs-Siedlung Dravakor, inmitten der rauen Landschaft Tundaras. Von Nebel umgeben und den kalten Winden ausgesetzt, bietet es dennoch Schutz und Hoffnung für all jene, die die feindliche Wildnis durchquert haben. Im Herzen der weiten Ebenen, nahe der größten Handelsstraßen, dient das Haus als Rückzugsort für Flüchtlinge, die aus dem südlichen Goldenen Imperium geflohen sind. Für sie ist es ein Leuchtfeuer, das die Dunkelheit durchdringt und ihnen Zuflucht und Trost bietet.
Morgen am Haus des Heils – Die Routine des Aufbaus
In der Morgendämmerung bricht ein zarter Lichtschimmer durch die dichten Nebel und erhellt die leeren, kalten Weiten von Tundara. Die ersten Sonnenstrahlen durchbrechen die Dunkelheit, während sich das Leben im Haus des Heils entfaltet. Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee und Tee vermengt sich mit dem Aroma von Zimt und geröstetem Getreide. Das Frühstück wird vorbereitet, und die Wachen beenden ihre Nachtschicht. Die Morgenroutine ist eingespielt: Einige nehmen sich Zeit für die Meditation, während andere dem Mahl entgegensehen.
Der Ausbau des Hauses schreitet weiter voran, nur der Turm bedarf noch der Fertigstellung. Bald werden die Hämmer und Sägen auch diesen Teil erreichen, und die Bewohner freuen sich auf die zusätzliche Sicherheit und den Weitblick, den der Turm bieten wird. Die Landschaft hat sich mit den Jahreszeiten verändert: Ein dünner, grüner Teppich überzieht die kargen Weiten, und erste Wildblumen ragen tapfer den Sonnenstrahlen entgegen.
Tagsüber steigen die Temperaturen leicht an, doch der Wind bleibt beißend und erinnert die Bewohner immer wieder daran, dass die Kälte Tundaras erbarmungslos ist. Das Haus ist offiziell noch nicht eröffnet, doch Verletzte und Kranke werden bereits aufgenommen und versorgt. Die Flüchtlinge, die aus dem Süden eintreffen, stehen hier einer Gesellschaft gegenüber, die durch Clans, Machtkämpfe und knappe Ressourcen geprägt ist. Selbst wenn die Einheimischen gewillt wären, alle Neuankömmlinge aufzunehmen, würden ihre Mittel kaum reichen.
Der Mauergarten und die Kräuter – Hoffnung in einer rauen Umgebung
Im Mauergarten gedeihen erste Blüten an der Kamille und der Schafgarbe, und die Petersilie ist erntereif. Das restliche Gemüse braucht noch Zeit zum Wachsen, doch der Garten gibt den Bewohnern ein Gefühl von Kontrolle und Eigenständigkeit. Die Spannung in Tundara wächst jedoch mit jeder Woche, und die Fremden des Hauses des Heils sind nicht die Ursache, sondern nur ein neuer Bestandteil der bestehenden Konflikte, die oft zu Verletzungen und Kämpfen führen.
Die Siedlung Dravakor – Eine Grenze der Akzeptanz
Die Bewohner Tundaras waren nie für ihre Gastfreundschaft bekannt, und der stete Strom an Neuankömmlingen macht die Situation nicht einfacher. In der kleinen Siedlung Dravakor trifft eine komplexe Mischung aus Alten, Schwachen, Verzweifelten und Flüchtlingen mit Kindern auf eine raue Gesellschaft, die kaum Raum und Ressourcen für sich selbst hat. Viele der Flüchtlinge kommen aus dem Goldenen Imperium und sind das Leben in einer geordneten, sicheren Gesellschaft gewohnt. Hier jedoch müssen sie sich an ein fremdes Umfeld anpassen, das von den Clans der Werwölfe dominiert wird, und die Kultur- und Lebensunterschiede sind oft schwer zu überwinden.
Die Clans Fyrak, Thandor und Veldran haben sich zwar dazu bereiterklärt, die Neuankömmlinge vorübergehend zu dulden, doch die Spannungen sind nicht zu übersehen. Ein flüchtiger Blick reicht, um die Anspannung in den Gesichtern der Clansmitglieder zu erkennen, die die Veränderungen in ihrem Gebiet nur widerwillig akzeptieren.
Der Kupferabbau – Hoffnung auf eine selbstständige Zukunft
In den Straßen von Dravakor versucht Karen, eine Alpha-Wölfin, gemeinsam mit Abgesandten der Gilde, Vereinbarungen mit den Clans Fyrak und Thandor über die Wiedereröffnung der alten Kupferminen zu treffen. Die Minen sind verfallen und verlassen, doch der Kupferabbau könnte den Neuankömmlingen Arbeit und den Clans wirtschaftliche Sicherheit bieten. Die vielversprechendsten Vorkommen befinden sich in der Kupferspitze, einer kleinen Bergformation zwei Tagesreisen vom Haus des Heils entfernt. Doch die Felswächter sind skeptisch und verweigern den Zugang zu den Minen – ohne ihre Zustimmung werden die Clans Bryndar, Haldrin und Veldran keine Fremden auf dieses Land lassen.
Die wilden Rudel – Eine Bedrohung aus der Dunkelheit
Unter den Neuankömmlingen haben sich jedoch auch andere Gruppierungen gebildet – junge, kräftige Werwölfe, die die Macht der örtlichen Clans infrage stellen und ihren Trotz und ihre Stärke zur Schau stellen. Diese neuen, wilden Rudel folgen keinen Gesetzen, sie sind von Unruhe und Gewalt geprägt. Drei solcher Rudel haben sich formiert:
Wolfszorn: Dieses Rudel lehnt die Menschen ab und sieht sie als Nahrung, als Eindringlinge in ein Land, das allein den Wölfen gehören sollte. Sie halten sich am Südrand Tundaras, nahe Ardag, auf und wagen immer wieder Vorstöße in die Clansgebiete, ihre Angriffe sind unverhohlen aggressiv.
Blutfang: Ein ursprünglich fast zwei Dutzend Wölfe starkes Rudel, das nach Norden ziehen wollte, um im Veldran-Gebiet zu plündern und zu jagen. Nach einem gefährlichen Vorstoß überlebten jedoch nur knapp ein Dutzend Wölfe, die nun Überfälle entlang der Handelsrouten verüben.
Morkai: Geführt von einem Wolf namens Grimvarg, einem ehemaligen Adligen oder reichen Kaufmann aus Porto Auregia. Grimvarg und seine Gefährten treiben Handel und scheinen Geld zu besitzen – ein ungewöhnlicher Umstand für ein Rudel. Sie kaufen Ausrüstung, Schlachtvieh und Alltagswaren. Doch ihre Spuren bleiben blutig, und die Gilde der Goldenen Straße sieht in ihnen eine wachsende Gefahr.
Ein Hoffnungsträger – Caladorn der Vermittler
Doch es gibt auch Licht inmitten der Dunkelheit. Der Werwolf Caladorn hat sich als Unterstützer der Flüchtlinge hervorgetan. Kraftvoll und ruhig ist er sowohl bei den Clans als auch bei den Flüchtlingen angesehen. Caladorn kennt die Kultur Tundaras und die Menschen des Kaiserreichs, da er selbst dort aufgewachsen ist, und kann zwischen beiden Welten vermitteln. Er ist ein verlässlicher Ansprechpartner für die Gilde und glaubt an die Idee, den Kupferabbau wiederzubeleben, um eine eigenständige Zukunft für die Bewohner von Tundara zu schaffen.
Die Clans im Widerstand
Nördlich des Ahnenhains und der Nebelhöhen stehen die Clans Frostfang, Jandur und Dornak den Neuankömmlingen misstrauisch gegenüber. Sie sehen in ihnen eine Bedrohung für das traditionelle Leben und verweigern sich den Veränderungen, die die Fremden bringen. Für diese Clans sind die Ideen der Gilde und der Versuch, eine neue Gesellschaft zu formen, eine Verfremdung ihres Landes und ihrer Kultur.
524 AA / 1424 Imperiale Zeitrechnung: Zehnter Monat
Der Herbst kündigt sich in Tundara kalt und unnachgiebig an. Während weiter südlich in Kymbrien und Brühmland noch die letzten Ernten eingefahren werden, beginnen hier bereits die bitterkalten Nächte, und ein schneidender Wind pfeift durch die endlosen Steppen und Wälder. Die Tage werden kürzer, und mit dem Winter, der bereits mit kaltem Atem über das Land fegt, zieht sich das Leben zurück. Die meisten Clans brechen auf, wandern in die nördlicheren Gebiete im Landesinneren. Nur wenige bleiben in Dravakor, das bald größtenteils von Menschen und erschöpften Flüchtlingen aus dem Imperium bewohnt wird, die sich von ihrer Reise kaum noch erholen konnten.
Im Haus des Heils herrscht geschäftiges Treiben, das dem drohenden Frost zum Trotz unermüdlich fortgesetzt wird. Arbeiter und Heiler bemühen sich, das Gebäude winterfest zu machen, während unten in Dravakor die schweren Wagen über die harten Straßen rumpeln. Sie bringen Vorräte aus dem Süden und Westen, und die Gilde der goldenen Straße hat alles getan, um die Speicher mit Lebensmitteln und wärmenden Gütern zu füllen: Getreide, Honig, Gewürze, Heilkräuter und auch Decken und Kerzen. Doch selbst mit vollen Lagern bleibt eine bedrückende Stimmung. Die Gerüchte über Bestien, die auf Ariochia gesichtet wurden, und über die Schatten, die sich aus dem Süden erheben, belasten die Gemüter. Ein Brief von Anouar, der klarstellt, wie die Gilde mit dem wachsenden Kult der Anit umgehen soll, hängt gut sichtbar aus und entfacht Spekulationen, ob Anit selbst mit der Dunkelheit von Obscuritas verbunden sein könnte.
Zusammen mit den Flüchtlingen und der Gilde haben sich auch neue Gruppen in Dravakor niedergelassen, darunter die Anhängerinnen der Selune und Schwestern der Anit, die ebenfalls heilend und helfend tätig sind. Doch die Anwesenheit der fremden Orden und der schillernden Südländer wird von den Einheimischen skeptisch beäugt. Trotz der wirtschaftlichen Vorteile, die die Gilde bringt, sind Spannungen spürbar, und das Misstrauen wächst, als sich die Straßen zunehmend mit wild gewordenen Rudeln füllen. Diese ungestümen Wölfe, meist junge oder ausgestoßene Mitglieder, überfallen die Hilfskonvois, plündern die Flüchtlingslager und scheinen nichts und niemanden zu fürchten.
Die Hoffnung auf eine stabile Zukunft ruht darauf, Dravakor durch den Winter zu bringen und das Haus des Heils als sicheren Hafen auszubauen. Hier, wo Flüchtlinge und Einheimische gleichermaßen versorgt werden, hofft die Gilde, eine neue, widerstandsfähige Gemeinschaft aufzubauen. Doch die Spannungen spitzen sich weiter zu, als ein grausamer Vorfall die Straßen erschüttert: Bei einem Streit mit einem jungen Wolf wird ein Mann vor den Augen seiner Tochter getötet. Der Bruder des Opfers, schwer verletzt, und das traumatisierte Kind werden ins Haus des Heils gebracht – ein weiterer Riss in der zerbrechlichen Fassade der Stadt.



Kaum ist die Lage halbwegs unter Kontrolle, bricht in einer eiskalten Nacht ein Feuer aus. Die Priesterinnen des Selune-Ordens, die gerade begonnen haben, ihren Tempel zu errichten, stehen vor den qualmenden Überresten ihrer Baustelle. In der Glut findet sich ein schwarzes Amulett, das Zaphryn sofort aufmerksam macht. Die Wachen des Hauses des Heils alarmieren ihn, und eine kleine Gruppe begibt sich in die Dunkelheit Dravakors, um dem Ursprung des Feuers auf die Spur zu kommen. Mit jedem Schritt knirscht der Boden unter der Kälte, die von Tag zu Tag erbarmungsloser wird. Die Wachen des Hauses, mit erhobenen Fackeln, die gespenstische Schatten werfen, halten die Menge der Neugierigen zurück. In der scharfen Nachtluft brennen die Gesichter der Umstehenden, als die letzten Balken des unfertigen Tempels zischend in sich zusammenfallen.
Während Zaphryn die priesterlichen Überreste untersucht, nimmt die Anspannung der Umstehenden zu. Das Amulett scheint die Anhänger von Shar zu verraten, doch die schwache, kaum spürbare Magie darauf lässt Zweifel aufkommen. Zaphryn und seine Wachen, durch den nächtlichen Angriff alarmiert, versuchen, eine Spur zu finden, um die wahren Hintergründe des Anschlags zu entlarven. Die Wachen halten ihre Blicke wachsam in die umhüllende Dunkelheit und wägen mit jedem Schritt die Fragen ab, die der Anschlag aufgeworfen hat. Wer wagt es, die Dunkelheit herbeizurufen und die Stadt weiter in Unruhe zu stürzen?









524 AA / 1424 Imperiale Zeitrechnung: Elfter Monat
Eine Szene aus dem Haus des Heils in Tundara:
Das war nur eine unscheinbare Tabelle, eine scheinbar einfache Anpassung an die Ressourcenplanung – für die meisten, die den Brief überflogen, ohne Bedeutung. Doch sie wusste genau, was diese Zeilen signalisierten: Der Winter war nicht die einzige drohende Gefahr, Krieg zog auf. Sie übergab das Dokument an den diensthabenden Wachkommandanten, der die Zeilen mit geübtem Blick erfasste. Die Nachricht enthielt nichts Außergewöhnliches – eine Anpassung der Lagerbestände für den bevorstehenden Winter, eine strategische Entscheidung der Gilde der goldenen Straße, um die Notfallvorräte für die Flüchtlingsströme zu erweitern. Der Brief war von Anouar unterschrieben und schien fast belanglos. Dennoch spiegelte sich in den Augen des Kommandanten das gleiche Verständnis wie in ihren: Diese scheinbare Formalität bedeutete Vorbereitung auf das dunkle Zeiten, erwartete Auseinandersetzungen, vielleicht sogar Krieg.
Er nickte langsam, faltenlos den Brief wieder zusammen und legte ihn sorgfältig zu den übrigen Dokumenten. „Du hast es gelesen“, sagte er knapp. „Die Waren sind bestimmt schon unterwegs. Schaffen wir Platz dafür.“ Mit einem entschlossenen Kopfnicken nahm er die Anpassungen der Wachprotokolle vor: erhöhte Bereitschaft, ausgedehnte Abstände zur frühzeitigen Warnung bei Annäherungen, das Protokoll zur Spionageabwehr aktiviert. Jedes Detail zählte, und die Wachen würden ab sofort wachsamer sein.
Unten, auf dem Hof der Gilde in Dravakor, wurden die ersten Vorbereitungen sichtbar. Die schweren Eisenschienen für die Konvois wurden auf die Wagen montiert, eine Anpassung für den bevorstehenden, unbarmherzigen Schnee. Bald würden sich nur noch die wichtigsten Wagenkolonnen durch die gefrorene Wildnis Tundaras bewegen – keine gewöhnlichen Räder, sondern massive, schienengeführte Schlitten, die den Kampf gegen die Elemente aufnehmen konnten. Auch die Kleidung der Händler und Wachen veränderte sich: dickere Mäntel, fellbesetzte Krägen und Turbane, deren Enden das Gesicht bis auf die Augen verdeckten, um der beißenden Kälte zu trotzen. Die frostige Stille breitete sich aus, umschloss Dravakor, und kündigte den drohenden Stillstand an, während sich die eisige Umarmung des Winters fest um das Land schloss.


524 AA / 1424 Imperiale Zeitrechnung: Zwölfter Monat
Blutiger Kreis im Verschlag
Ein verschlagener Schuppen, ein gestohlenes Huhn – und ein junges Rudel, das ein Blutritual vollzog. Mit einem Krachen brach die Tür unter den Stiefeln der Regnum-Wachen auf, und im fahlen Licht zeigte sich die Szene: Ein junger Werwolf, Schnauze blutverschmiert, das Huhn noch zwischen den Zähnen, hinter sich ein grober, blutiger Kreis an die Wand geschmiert. Der Gestank von Stroh, Blut und Dominanzphermonen hing schwer in der Luft.
Es war nicht der erste Vorfall, bei dem junge Wölfe versuchten, sich in Dravankors aufgeladener Stimmung mit Symbolik und Gewalt zu profilieren. Die Wachen reagierten routiniert, der Sonnenwolf unter ihnen trat in Erscheinung, und das Rudel wurde ohne Opfer gestellt. Die Zeichen aber blieben: Die zunehmende Radikalisierung einzelner Jugendlicher, der Einfluss ritueller Gewalt und der Hunger nach Geltung innerhalb der chaotischen Flüchtlingsstruktur der Stadt.
Im Haus des Heils, nur wenige Gassen entfernt, roch es nach Räucherwerk und Orangen. Hier herrschte Ruhe, zumindest noch. Die medizinischen Kapazitäten reichten, Infektionen blieben aus – doch die Berichte von Gewalt und Übergriffen häuften sich. Täglich wurden Verletzte eingeliefert. Unter ihnen Werwölfe mit schwer kontrollierbarem Heilverhalten, Menschen mit tiefen Bisswunden oder Spuren brutaler Auseinandersetzungen.
Die Gilde der goldenen Straße begann, auf ihre Art zu reagieren: mit Disziplin und Protokoll. Die Lagerlisten wurden angepasst, Sicherheitsbereiche definiert, das Gelände rund um das Haus des Heils unter neue Kontrolle gestellt. Der Schatten von Rotensteyn, die Kälte und die Zeichen eines kommenden Krieges machten sich in Blicken und in Befehlen bemerkbar.
Dravankor lag still unter dem frühen Schnee. Doch die ersten Zeichen waren da. Es war nicht mehr nur Unruhe. Es war Vorbereitung.



Registrierung, Kontrolle, Trank
Ein karger Platz. Kisten, Schnee, Atemwolken. Der Skayarus stand erhöht, überblickte die Menge und sprach laut in die frostige Stille: „Dravankor wird registriert.“
Die Gilde der goldenen Straße begann mit einer systematischen Erfassung der Bevölkerung. In den kommenden zwei Wochen sollte jeder erfasst werden: Name, Herkunft, Geburtsdatum, Profession. Eine Maßnahme gegen Chaos – und gegen die 500 Geisternamen, die mehr Rationen erhielten, als es Körper gab. Die Stimmung schwankte zwischen Hoffnung und Groll.
Mit der Registrierung kam auch eine neue Ordnung: Die Stadt wurde in Abschnitte eingeteilt, jeder davon sollte künftig von einem „Alpha“ geführt werden. Zwei Hundert dieser Vorsteher wurden gesucht, unterstützt von zwanzig übergeordneten Alphas, die direkt mit den Sonnenwölfen und der Gilde zusammenarbeiten würden. Es war ein Plan, der auf Rudelstruktur und Verantwortung setzte – und auf Kontrolle.
Doch die eigentliche Gefahr lag nicht im Chaos der Verwaltung, sondern im bevorstehenden Vollmond. In den letzten Monaten hatte jede Vollmondnacht Opfer gefordert: Ausgerastete Wölfe, blutige Zwischenfälle, Übergriffe. Die Jagdgründe waren leer, die Kälte drängte die Rudel in die Siedlung. Der Winter ließ keine Ausweichwege mehr zu.
Die Gilde entschied: Ein Trank sollte helfen. Hergestellt von Alchemisten Ariochias, teuer erkauft, gefährlich knapp. Die Wirkung: vollständige Unterdrückung der Verwandlung für eine Nacht. Die Maßnahme: Ausgangssperre an Vollmondnächten – Wer sich dennoch verwandelte oder draußen erwischt wurde, sollte neutralisiert werden. Ohne Verhandlungen.
Einige begrüßten die Härte. Andere reagierten mit kaltem Zorn.
Inmitten dieser Anspannung trat eine Priesterin der Selune hervor. Ruhig, in blauer Robe, bar jeder Scheu vor der Kälte. Sie kündigte ein Ritual an – freiwillig, schützend, spirituell. Wer sich dem Licht des Mondes bewusst stellte, sollte mit geistiger Kraft der Verwandlung widerstehen können. Der Hohe Hüter des Mondlichts war bereits unterwegs.
Während die Plakate an die Wände genagelt wurden, war klar: Die Stadt bereitete sich vor. Auf eine Ordnung, die nicht aus Vertrauen bestand – sondern aus Notwendigkeit.




Lichtkehr
Eine Woche vor Taryah flackerte in Dravankor ein Funken Wärme auf. Lichtkehr, das Heimleuchten – traditionell eine Zeit des Rückzugs, des Erinnerns und des Zusammenkommens – wurde gefeiert, so gut es eben ging. Keine Familie war vollständig, viele Freunde längst verloren, die Hoffnung brüchig. Und doch: Es wurde gefeiert.
Im Haus des Heils bereitete die Küche warme Speisen. Zimt, Kardamom, Orangen – Gerüche aus fernen Welten. Es gab Schokolade und Kaffee, Brot, Braten, Wein. Für einen Abend war der Saal kein Behandlungsraum, sondern ein Ort des Zusammenhalts. Die Legati Lucis et Ignis, fern ihrer Heimat, wurden zur Familie füreinander.
Auch draußen bewegte sich etwas. Die Gilde der goldenen Straße verteilte kleine Rationen: Gebäck, Honig, dampfenden Gewürztrank. Laternen aus Papier stiegen über dem Marktplatz in den grauen Himmel, Girlanden hingen zwischen den Baracken, Kinder lachten – für einen Abend. An den Feuerstellen erzählte man sich Geschichten. Von Kymbrien, vom Imperium. Von Licht und Verlust.
Der Alltag wich nicht. Schwarzmarkt, Kälte, Druck, Misstrauen – sie alle blieben. Aber für einen Moment wurden sie überdeckt. Die Ordnung hatte noch keinen Halt gefunden, die Vollmondnacht war unausweichlich. Doch Dravankor hielt inne. Nicht in Sicherheit – aber in Würde.


525 AA / 1425 Imperiale Zeitrechnung: Erster Monat
Die Grube brennt
Vier Tage nach dem Lichtfest. Die Erinnerung an Gebäck und Geschichten war noch nicht verblasst, da riss ein Ruf die Skayara aus ihren Gedanken: „Irrer Wolf auf Drogen zerlegt die Grube!“
Die Grube – das düstere Viertel aus Holzverschlägen, improvisierten Hütten und alten Zelten – war schon lange ein Pulverfass. Rauschmittel, verbotene Kämpfe, Glücksspiel, Waffenhandel. Jetzt war es explodiert.
Ein massiver Werwolf, von Drogen getrieben, tobte durch die engen Gassen. Dunkles Fell, blutunterlaufene Augen, aufgeschäumter Speichel. Vier Verschläge fielen unter seinen Schlägen, zwei Männer starben, mehrere wurden verletzt – darunter eine Frau mit einem Kind. Die Wachen rückten aus, der Alpha der Sonnenwölfe trat dem Wahnsinn entgegen. Es war ein brutaler, erschöpfender Kampf. Der Schnee färbte sich rot.
Als der Wolf schließlich reglos liegen blieb, war die Grube zerstört. Aber die Gefahr nicht gebannt. Reste von Wolfsblume, Spuren von Korrblut – Substanzen, die längst verboten waren – wurden im Trümmerfeld gefunden.
Die Reaktion kam schnell: Evakuierung. Baracken sichern. Rückführung ins Lager. Die Wachen reagierten mit Disziplin – aber auch mit Erschöpfung. Denn es war klar: Das war kein Einzelfall.
Für einen Moment hielt die Skayara inne, erinnerte sich an das Lichtfest. An das Lachen, die Wärme, den Glanz. Dann drehte sie sich wieder in den Wind und gab neue Befehle. Es würde wieder Nacht werden. Und die Kälte würde nicht nachlassen.



Zwischen Stärke und Mitgefühl
Der Schnee lag schwer über Dravankor, gepresst in Gassen, verweht auf Dächern, gefroren auf jeder Oberfläche. Varod, Skayarus der Regnum-Wache, verteilte Nüsse und Süßigkeiten an Kinder. Ein kleiner Akt des Guten. Doch Keshira, seine Vorgesetzte, erinnerte ihn leise: „So funktioniert es hier nicht.“
Sie hatte recht. In Dravankor gewann der Stärkere. Die Geschenke wurden geraubt, verkauft, verhandelt. Hilfsbereitschaft konnte Schwäche bedeuten. Die Straßen folgten ihren eigenen Regeln – und sie kannten kein Mitleid.
Doch es gab auch Elasar. Ein Sonnenwolf, selbst ein Werwolf, geflüchtet aus dem Imperium, nun in Dravankor stationiert. Er glaubte an Stärke, aber auch an Verantwortung. „Wenn ich etwas beitrage, dann für eine Ordnung, die langfristig funktionieren könnte.“ Zwischen Idealismus und Härte bewegten sich alle drei.
An einer Feuerstelle erzählten Flüchtlinge von ihren Lichtkehrfesten. Der Geruch von Gewürztee lag in der Luft. Für einen Moment erinnerte sich Varod an das, was möglich war – an Verbundenheit, an Zusammenhalt, an eine andere Welt. Er wusste, wie tief Dravankor im Schlamm steckte. Aber auch: dass es Menschen gab, die versuchten, einen Weg hinaus zu finden.
Am nächsten Morgen würden neue Listen angelegt, neue Patrouillen geplant, neue Namen registriert werden. Die Arbeit hörte nicht auf. Doch Varod, Keshira und Elasar wussten jetzt, dass sie nicht allein waren – und dass ein Funken Hoffnung nicht naiv war, solange er hartnäckig getragen wurde.



Der Gekreuzigte
Nach einer stürmischen Nacht, in der der Schnee wie ein Schleier über die Stadt gefallen war, fanden die Wachen ihn: ein großer Mann – oder das, was von ihm blieb – aufgespannt an der Rückwand einer Baracke. Zwei massive silberne Nägel trieben durch seine Handflächen. Eine Silberkette hatte sich tief in seinen Hals eingebrannt. Sein Leib war entstellt, ein einziger Schnitt lief vom Hals bis zum Nabel. Um ihn: ein Kreis aus vergossenem Blut. Im Schnee davor:
„Silberne, führe meine Hand.“
Der Körper war inmitten der Verwandlung erstarrt – halb Mensch, halb Wolf. Die Schnittwunden waren zahlreich, aber präzise. Ein Ritual. Eine Hinrichtung mit Symbolkraft. Es war offensichtlich, dass hier kein einfacher Mord verübt wurde – sondern eine Botschaft hinterlassen werden sollte.
Die Skayara kam als eine der Ersten am Tatort an, untersuchte den Toten mit klinischer Kälte. Die Wache sicherte die Szene, die Menge wurde zurückgedrängt. Man war still – nicht aus Respekt, sondern aus Schock. Aus Angst. Denn niemand schrie. Es war, als habe die Stadt mit diesem Anblick gerechnet.
Die Spuren: ein Silberdolch, kunstvoll gefertigt; Silberstaub in der Luft; keine Kampfspuren. Die Botschaft war zu deutlich: Der Täter hatte Zeit. Und Absicht.
Der Mord ließ sich nicht auf Drogen, Wahnsinn oder Zufall schieben. Hier wirkte etwas anderes – strukturiert, verborgen, grausam. Es war der Moment, in dem aus Angst Stille wurde. Und aus Stille ein System.

Erste Spurensuche
Die Wache hatte den Tatort gesichert, der Körper war noch vor Ort, als zwei Ermittler eintrafen: Leaf, ein elfischer Magier mit Blick für verborgene Strukturen, und Zaphryn, Offizier der Regnum-Soliten. Gemeinsam begannen sie, das Rätsel zu entschlüsseln.
Leaf untersuchte die Leiche zuerst äußerlich, dann magisch. Die 28 Stiche waren gezielt gesetzt, mit einem Dolch – keine rohe Gewalt, sondern chirurgische Grausamkeit. Die Brandspuren an Gelenken zeugten von langem Kontakt mit Silber. In der Aura: nichts als der Nachhall von Tod und Schmerz. Kein Zauber, keine Beschwörung. Aber etwas war seltsam.
Der Geruch fehlte. Kein Blutgeruch, kein Verwesungsgestank. Die Leiche war zu still. Eine alchemische Mixtur wurde entdeckt – sorgfältig hergestellt, wahrscheinlich lokal. Sie unterdrückte Gerüche vollständig. Der Hinweis schränkte die Täterliste ein. Nicht viele konnten sich so etwas leisten – oder mischen.
Der Silberdolch war meisterhaft gearbeitet. Mit Mondsymbol. Nicht alltäglich. Kein Serienwerk. Vielleicht geschmiedet als Zeichen. Oder für eine gezielte Tötung.
Die Skayara hielt sich im Hintergrund, beobachtete, fragte, lenkte die Wachen. Ihre Präsenz war leise, aber stabil. Als Leaf mit den Untersuchungen endete, warnte sie ihn: „Was auch immer ihr glaubt zu suchen – sucht es nicht allein.“
In Dravankor sprach kaum jemand offen. Doch der Name der Toten wurde genannt: Nerva, die Alphawölfin der „Händler“. Reich, grausam, mächtig. Ihre Vergangenheit reichte bis ins Imperium. Niemand vermisste sie laut – aber alle wussten, wer sie war. Und dass ihr Tod kein Zufall war.

Der Engel in der Aschegasse
Es war ein Junge, der die Wache rief. In den engen Gassen der Aschegasse, zwischen windschiefen Baracken, zeigte er wortlos auf den Toten – ein hagerer Mann, mittleren Alters, auf dem Rücken liegend. Eine einzige klaffende Wunde hatte den Brustkorb zerschmettert, die rechte Hand war in einer silbernen Mausefalle zerbrochen, die linke offenbar mit einem Hammer.
Um ihn: wieder ein Kreis aus Blut.
Im Schnee: „Ich bin ihr Engel. Ich werde euch richten.“
Die Skayara trat an den Körper, der bereits steif gefroren war. Wieder kein Blutgeruch, wieder eine Inszenierung, wieder ein Zeichen. Am Hals: ein Amulett, einfach, aber fremdartig. Der Mann war niemand Bedeutendes. Kein Alpha. Kein Händler. Nur ein weiteres Opfer.
Die Wache sicherte die Szene. Leaf nahm Stoffproben, Zaphryn untersuchte den Tatort. Auch hier: Spuren derselben geruchslosen Mixtur. Die Ähnlichkeiten zum Mord an Nerva waren unübersehbar – und die Abweichungen ebenso: Hier war weniger Präzision, mehr Wut. Eine Warnung. Oder eine Eskalation?
Die Menge beobachtete schweigend. Niemand schien überrascht. Niemand stellte Fragen. Niemand sprach.
Die Skayara trat an die Seite des Elfen, senkte die Stimme: „Wir haben eine Serie.“
Sie wusste, dass die Botschaft nicht nur an die Opfer gerichtet war – sondern an sie alle.
525 AA / 1425 Imperiale Zeitrechnung: Zweiter Monat
Die Mondin wird euch richten
Dravankor lag im bleichen Licht des nahenden Vollmonds, als sie gefunden wurde:
eine Frau, an die Rückwand eines Fachwerkhauses genagelt, mit silbernen Ketten fixiert, das einst reiche Gewand zerfetzt, in ihrer Brust ein silberner Dolch. Der Körper menschlich – doch entstellt. Ihre Züge zu einer Grimasse verzogen. Ihre Haut mit Silberstaub bedeckt.
Im Schnee: „Die Mondin wird euch richten.“
Die Menge blieb still. Niemand schrie. Niemand trat näher – der Silberstaub hielt sie auf Abstand.
Leaf, Zaphryn und die Skayara sicherten den Tatort. Leaf untersuchte den Dolch: fein gearbeitet, schwer, mit Mondsymbol. Kein Massenprodukt. Kein Zufallsfund. Die Leiche zeigte 28 präzise gesetzte Schnitte – nicht tief, aber gezielt. Die gleiche Mixtur wie bei den vorherigen Opfern war auf Haut und Kleidung zu finden: Geruchslosigkeit, kalte Präzision.
Die Tote wurde identifiziert: eine Schuldeneintreiberin, vermutlich Teil des lokalen Drogenhandels. Einflussreich, skrupellos – Alphawölfin eines Rudels, das nun verstummte. Niemand sagte etwas. Niemand wusste etwas. Und alle wussten, dass das nicht stimmte.
Die Ermittlungen führten ins Leere. Die Mixtur war zu rein, die Waffe zu teuer, der Kreis zu sauber. Die Täterin – oder der Täter – arbeitete mit Geduld, mit Mitteln und mit Überzeugung.
Ein Satz der Skayara blieb im Gedächtnis:
„Das hier war kein Mord. Das war ein Urteil.“


Spuren im Staub
Seit der Kreuzigung der dritten Leiche lag eine spürbare Spannung über Dravankor. Die Luft war klar, trocken, kalt – doch niemand sprach laut. Niemand wagte Mutmaßungen. Das Schweigen war nicht mehr nur Angst. Es war Verteidigung.
Zaphryn ließ die alchemische Mixtur untersuchen, die alle drei Leichen umgeben hatte. Das Ergebnis war eindeutig: extrem seltene Ingredienzien, hohe Reinheit, komplexe Zusammensetzung – eine Mixtur zur vollständigen Geruchslosigkeit, gefertigt von einem fähigen Alchemisten. Es gab in Dravankor kaum Labore, die über die Mittel verfügten, eine solche Substanz herzustellen.
Leaf prüfte die Waffe. Der Dolch – fein gearbeitet, aus reinem Silber, mit einem gravierten Mondsymbol – war keine Ware von der Straße. Er trug kein Schmiedesiegel, keine Inschrift, aber sein Material und seine Balance verrieten Qualität.
In Gesprächen mit den Schmieden und Händlern der Region zeigte sich: solche Stücke sind meist Sonderanfertigungen – bezahlt in Gold, nicht in Kupfer. Wer sie bestellt, will eine Botschaft hinterlassen.
Die Gilde reagierte ruhig, aber bestimmt. Patrouillen wurden verstärkt. Namen überprüft. Die Registrierung aus dem Vormonat half – aber lückenhaft. Viele tauchten unter, wechselten Namen, verschwanden in den Baracken. Die Liste der Verdächtigen war lang, doch voller Lücken.
Die Bevölkerung? Mied die Straßen. Mied die Wachen. Mied sich gegenseitig. Und in dieser Stille bewegte sich etwas:
Ein Gefühl, dass diese Taten nicht allein von Rachsucht oder Wahnsinn getrieben wurden – sondern von einem Weltbild.
Und während Zaphryn mit Leaf plante, das Netzwerk der Herstellung aufzudecken, bereitete sich Dravankor auf den nächsten Vollmond vor. Denn wenn sich jemand Mühe gab, diese Botschaften zu hinterlassen –
war da jemand, der zuhören sollte.